Demokratie kann man keiner Gesellschaft aufzwingen, sie ist auch kein Geschenk, das man ein für allemal in Besitz nehmen kann. Sie muss täglich erkämpft und verteidigt werden.

Heinz Galinski

(1912–1992)

Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland 1988-1992

Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts

Pressemitteilung zum Neonaziüberfall vor der Staatskanzlei in Erfurt

Wie dem MDR und der Thüringer Allgemeinen zu entnehmen war, gab es in der Nacht von Freitag auf Samstag den 18.07.2020 eine Schlägerei zwischen ca. 30 Personen vor der Staatskanzlei in Erfurt.

Nach Berichten von Beteiligten soll es sich hier um einen Überfall von Rechtsextremen zum Teil aus der Kampfsport-Hooliganszene gehandelt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit, kann aber zu den Gründen und den Motiven derzeit nichts sagen.

In Arnstadt wurde eine Gedenkveranstaltung am 9. November 2019 von mehreren Fußballfans des Arnstädter SV 09 Arnstadt gestört, und es kam dabei zu rechtsmotivierten Beleidigungen und Handgreiflichkeiten. Die Polizei griff erst ein, als die Störer schon in der Versammlung waren, obwohl dieser Übergriff schon vorher hätte verhindert werden können. Die Gedenkveranstaltung musste abgebrochen werden. Daraufhin wurden Anzeigen wegen „Störung einer Versammlung mit politischer Motivation“ gegen die Störer erstattet. Die Staatsanwaltschaft ließ das Verfahren fallen, da sie keine Störung und keine politische Motivation erkennen konnte. Des weiteren waren die Störer zum Teil erheblich alkoholisiert und somit vermindert schuldfähig.

In Ballstädt wurde eine Kirmesgesellschaft im Februar 2014 von Neonazis überfallen. Der Strafprozess dauerte sechs Jahre, und eine politische Motivation der Tat konnte nicht festgestellt werden. Im Jahr 2021 soll das Verfahren erneut aufgerollt werden. Dies stellt für die Opfer eine erhebliche Belastung dar.

Wir hören, lesen und sehen immer wieder rechtsmotivierte Straftaten, die entweder durch Polizei oder Justiz marginalisiert werden. Es wird die politische Motivation von rechts negiert und somit in der Öffentlichkeit nicht als Bedrohung wahrgenommen. Diese Bedrohung existiert aber ganz real, wie an den Morddrohungen gegen einige PolitikerInnen durch den „NSU 2.0“ und täglichen Beleidigungen und Drohungen an vielen ehrenamtlichen BürgerInnen erkennbar ist. In den Kommentarspalten in Sozialen Medien werden Straftaten, die – aus welcher Rücksicht auch immer – nicht als rechtsextreme Gewalttaten benannt werden, von rechtsextremen und rechtspopulistischen Anhängern ins Gegenteil verwandt. Es wird munter der Mythos von randalierenden Flüchtlingen und Linksextremen verbreitet. Die Bevölkerung, die sich nicht täglich mit Rechtsextremismus auseinandersetzt, hat somit einen verklärten Blick auf die sehr aktive Neonaziszene in Thüringen. Wenn dann im Späteren doch ausnahmsweise durch eine Instanz eine politische Motivation erkannt wird, interessiert dies die Bevölkerung aber nicht mehr. Bei ihnen bleibt die Erstmeldung von kriminellen Flüchtlingen und linksextremen Randalierern hängen. Dies ist für uns ein unhaltbarer Zustand!

Wir Bürgerbündnisse in Thüringen fordern die Polizei und Justiz auf, Straftaten mit politischer Motivation auch als Solche zu benennen. Dadurch hätte auch die Presse die Möglichkeit, ihre Berichte entsprechend zu schreiben und auf falsche Anfeindungen durch Rechtspopulisten im Netz zu reagieren. Eine Benennung rechtsmotivierter Straftaten und somit die Ächtung dieser würde einen gesellschaftliche Diskurs über die Gefährlichkeit von Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen ermöglichen und nicht verharmlosen oder gar negieren.