Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen.

Richard von Weizsäcker (CDU)

(* 1920)

1984–1994 Bundespräsident

Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts

Pressemitteilung zu den Ereignissen am 1. Mai in Saalfeld und Weimar

Die Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts verurteilen aufs Schärfste die am 1. Mai in Thüringen verübten Naziangriffe und fordern eine entschiedene Verfolgung dieser Straftaten. 

Ebenso fordern sie eine politische und dienstrechtliche Auswertung des Handelns von Polizeieinsatzleitung und Versammlungsbehörde in Saalfeld.

Wir mussten am 1. Mai 2015 in Thüringen einen erneuten Höhepunkt politisch motivierter Gewalttaten aus den Reihen der Nazis und ihres Umfeldes erleben. In Weimar wurde eine DGB-Versammlung zum 1. Mai angegriffen und Teilnehmer_innen verletzt. Dies geschah geplant und organisiert und unter bewusster Verletzung des Versammlungsrechts. Die schnelle und besonnene Reaktion der Gewerkschafter_innen, ihrer Gäste und der Polizei konnte Schlimmeres verhindern. Gegen 27 Personen, von der Polizei gestellt, sind Strafverfahren eingeleitet: wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.

Fast zur gleichen Zeit prügelten in Saalfeld Sympathisanten und Mitglieder der offen nazistischen Partei „Der Dritte Weg“ ungehindert auf sechs Punks ein und verletzten zwei von ihnen schwer. Das wurde möglich, weil die dortige Polizei 100 gewaltbereite Nazis unkontrolliert durch die Stadt laufen ließ und notwendige Hilfeleistung für die Verletzten zunächst versagte. Im Gegenteil: Die Polizei eskortierte die kriminellen Nazischläger ungehindert zu deren Kundgebungsplatz. Die Feststellung von Personalien der Gewalttäter unterblieb ebenso wie ein Unterbinden der Naziveranstaltung aufgrund der von ihr auch weiterhin ausgehenden Gewalt. Ein ernsthafter Schutz der Gegendemonstrant_innen vor direkter Nazigewalt wurde genauso wenig gewährleistet wie ein Schutz vor der dreisten Ablichtung durch Nazifotografen. Stattdessen wurde den Nazis ein Marsch durch die Stadt erlaubt, von dem weitere Gewalttätigkeiten ausgingen.

Die angegriffenen Saalfelder Punks waren der dortigen Polizei und insbesondere der Einsatzleitung keine Erwähnung wert, und auch viele Medien schwiegen zunächst zu diesem Sachverhalt. Vorsatz, Fahrlässigkeit, Inkompetenz oder wie sonst ist das zu bewerten? Wie ist es möglich, dass die Einsatzleitung vor Ort ausgerechnet in der ehemaligen Hochburg der NSU-Verbrecher und des Thüringer Heimatschutzes die Gewaltbereitschaft der Nazis und die von ihnen ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung so sträflich unterschätzen konnte.

Wir erwarten eine politische Aufklärung der Nazigewalt vom vergangenen Wochenende, ihre politische und juristische Bewertung. Die von Nazis angegriffenen und bedrohten Menschen in Saalfeld haben seitens der Polizei mindestens eine Entschuldigung verdient.

Wir fordern ebenso eine lückenlose Aufklärung darüber, wie es zu dem verfehlten Polizeieinsatz in Saalfeld kommen konnte sowie politische und dienstrechtliche Konsequenzen, um eine Wiederholung einer solchen Fehleinschätzung und Verharmlosung nazistischer Gewalt in Zukunft auszuschließen.

Wir bestärken alle, in ihrem Engagement gegen die Hassideologie der Nazis nicht nachzulassen: Widersetzen. Politisch, ideell und kreativ. Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gilt den von den Nazigewalttätern Angegriffenen und Verletzten.