Die Vernetzung der Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts hat durch ihre SprecherInnen den folgenden Aufruf unterzeichnet. Wir würden uns freuen, wenn sich viele weitere Menschen diesem anschließen.
Für eine reguläre Gesundheitsversorgung aller Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus!
Was selbstverständlich sein sollte, ist es leider nicht: In Deutschland haben viele MigrantInnen keine Krankenversicherung und keinen regulären Zugang zur medizinischen Versorgung. Die Folge: Behandelbare Erkrankungen entwickeln sich zu vermeidbaren Notfällen. Das ist ein Skandal und stellt nicht nur die Betroffenen, sondern auch alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, vor große Probleme.
Aus ethischer und menschenrechtlicher Sicht müssen alle PatientInnen die notwendige medizinische Versorgung bekommen – was ist aber, wenn die Rechnung nicht bezahlt werden kann? Die nötige Anschlussbehandlung unterbleibt? Das Labor nicht abgerechnet werden kann und die Medikamente unbezahlbar sind? Wenn gar eine Operation notwendig wird?
Die Politik lässt das Gesundheitswesen mit diesen Problemen nicht nur alleine, sie hat sie größtenteils überhaupt erst geschaffen. Dabei geht es um die Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, von Flüchtlingen im Asylverfahren oder mit Duldung, sowie von EU-MigrantInnen ohne Krankenversicherung.
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben faktisch keinen Zugang zur medizinischen Regelversorgung. Wenn sie beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen, ist das Sozialamt nach § 87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verpflichtet, die Ausländerbehörde zu informieren. Im schlimmsten Fall droht dann die Abschiebung. Wenn sie im Notfall direkt ins Krankenhaus gehen, kann das Krankenhaus versuchen, direkt mit dem Sozialamt abzurechnen – diese Daten sind dann durch die ärztliche Schweigepflicht vor der Weitergabe an die Ausländerbehörde geschützt. Das Krankenhaus muss dem Sozialamt gegenüber jedoch die Bedürftigkeit der PatientInnen nachweisen – die dazu notwendigen Nachweise können Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Regel nicht vorweisen. Sie können in ihrer besonderen Lebenssituation auch keine detaillierten Angaben über ihre MitbewohnerInnen und UnterstützerInnen machen. Daher müssen die Krankenhäuser fast immer auf die Abrechnung der Kosten verzichten und versuchen daher solche Behandlungen zu vermeiden. Dies führt zu einer strukturellen Unterversorgung, oft unterbleiben nötige Untersuchungen und Behandlungen, teilweise mit lebensgefährlichen Konsequenzen.
Flüchtlinge, die im Asylverfahren sind oder geduldet werden, haben nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur Anspruch auf reduzierte medizinische Leistungen. Was diese Leistungen umfassen und ausschließen, ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen und führt nicht selten zur Leistungsverweigerung. Dabei entscheiden SachberarbeiterInnen der Sozialämter über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung.
Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird das AsylbLG gerade überarbeitet – in diesem Zusammenhang sollten die medizinisch unsinnigen Einschränkungen endlich gestrichen werden. Zumal die Lebensbedingungen von Flüchtlingen aufgrund ausländerrechtlicher Bestimmungen ohnehin psychosozial belastend und gesundheitsgefährdend sind: Lagerunterbringung, Essenpakete, Arbeits- und Ausbildungsverbote, Einschränkungen der persönlichen Mobilität durch die Residenzpflicht. Bundesweit protestieren Flüchtlinge gegen diese ausgrenzenden Lebensbedingungen. Dabei haben sie durch lange Protestmärsche, monatelange Besetzungen und Hungerstreiks, u.a. am Brandenburger Tor bei klirrender Kälte auch ihre eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Dennoch reagiert die Politik auf ihre Forderungen bisher mit kalter Ignoranz.
Die dritte Gruppe von MigrantInnen ohne regulären Zugang zur Gesundheitsversorgung sind EU-BürgerInnen insbesondere aus den neuen EU-Ländern, die oft weder in Deutschland noch in ihren Herkunftsländern krankenversichert sind. Während ein einheitlicher Rechtsrahmen für die europäischen Arbeits-, Dienstleistungs-, Waren-, Kapital- und Finanzmärkte geschaffen wird, stellt sich die sozialrechtliche Situation der innereuropäischen MigrantInnen in der Praxis als uneinheitlich und komplex dar. Der Zugang zu medizinischen Leistungen und deren Finanzierung stellt Beratungsstellen, Gesundheitsdienste und Krankenhäuser und öffentliche Verwaltungen vor Fragen, deren Beantwortung umfangreiche Kenntnisse europäischer Rechtsnormen und des nationalen Sozialrechts – in Deutschland wie im jeweiligen Herkunftsland – erfordert. Die Interpretation dieser Regelungen durch Beratungsstellen, Verwaltung und Gerichte ist uneinheitlich und oftmals widersprüchlich. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen können diese Fragen am allerwenigsten beantworten. Sie sind jedoch mit den Hilfe suchenden PatientInnen konfrontiert und allein gelassen. Dies führt dazu, dass die medizinische Versorgung oft mangelhaft und unzureichend ist.
Wir setzen uns für ein Gesundheitswesen für alle ein.
Wir fordern:
– Abschaffung des § 87 AufenthG
– Abschaffung des AsylbLG – Integration in die soziale Regelversorgung
– Abschaffung diskriminierender Sondergesetze für Flüchtlinge
– Reguläre medizinische Versorgung aller hier lebenden Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und vom Herkunftsland